21. Februar 2007

Der Leuchtturm

Im Zuge der Aktion „Unsere Büroräume sollen attraktiver werden“ wurden neben den üblichen Aktionen wie Küche streichen und Teppichboden reinigen auch Bilder ab- und Neue aufgehängt. Verschwunden die leicht angegilbten Fotos im roten Rahmen, die frühere und jetzige Mitarbeiter der Firma in jugendlichem Alter bei typischen Tätigkeiten, meist beim Feiern in geselliger Runde zeigten – Kunst ist angesagt. Großformatige Gemälde, die als Auftragskunst selbstverständlich in den CI-Farben gehalten sind, hängen in den öffentlichen Bereichen. Klar, kein Mensch will so ein lieblos runter gepinseltes Machwerk in seinem Büro hängen haben. Auch vor dem Sanitärbereich hat die Verschönerungsaktion nicht halt gemacht. Während ich die Aromaöl-Attentate aufgrund der relativ kurzen Verweildauer in besagten Räumlichkeiten ja gerade noch tolerieren kann, sage ich zur Kunst im Klo eindeutig nein. Und wenn irgendwer es wirklich nicht übers Herz bringt, seine alten Ikea-Bilder zu entsorgen, dann muss er die doch nicht ausgerechnet auf der Herrentoilette aufhängen – zumindest nicht dieses.

Das Bild, das mich da tagtäglich beim Pinkeln anschaut heißt „Le Phare du Four dans la tempête“ und zeigt drei Momentaufnahmen des Leuchtturms von Four, im Norden der Bretagne, während eines Sturms. Und es ist nicht etwa eines dieser schlanken, rot-weiß gestreiften Dinger, die man aus der Bierwerbung kennt, sondern ein massiver Turm aus groben Steinblöcken, die im Original granitgrau, aufgrund der schlechten Qualität des Drucks hier aber fast hautfarben aussehen. Da steht also dieser Turm mit seiner mächtigen Basis und der nach oben nur leicht verjüngten Form und trotzt mit seiner eichelförmigen Kuppel den Naturgewalten. Eine raue, aufgewühlte See bricht gegen das Vorkap, auf dem der Leuchtturm errichtet wurde, so dass die Wellen sich bis über seine Eichel, äh Kuppel, auftürmen, um dort donnernd zusammen zu schlagen, bevor sie ihre Wassermassen über die gesamte Halbinsel ergießen. Im Hintergrund wälzt schon der nächste Brecher auf das sturmerprobte Bauwerk zu. In einer Sequenz von drei Bildern wird detailliert gezeigt, wie sich die gewaltige Wasserwand erhebt, den Turm überragt und schließlich über ihm zusammenfällt.

Bei dem Anblick soll man in Ruhe pinkeln können? Wir Männer neigen ja jetzt alle zum Vergleichen, doch bei diesem Leuchtturm hat man einfach keine realistische Chance. Man steht und schaut, senkt den Blick, betrachtet nochmals das Bild, ist überwältigt, von Urängsten geplagt und vergisst am Ende, warum man eigentlich hergekommen ist. Dann flüchtet man sich hinter schützende Trennwände, nicht um sich dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen, sondern um das Toben des Sturmes nicht mehr hören zu müssen, um endlich selbst nachgeben zu dürfen. Früher kamen meine Kollegen fröhlich pfeifend und befreit vom stillen Örtchen, meist einen Scherz auf den Lippen. Heute huschen sie nur noch mit gesenktem Blick an einem vorbei und löschen sogar das Licht in der Toilette. Ein untrügliches Zeichen für männlich gefühlte Minderwertigkeit. Kein Mann würde Bier kaufen, wenn die Werbung mit diesem Leuchtturm daher käme.

Lange hatte ich ja eine Frau im Verdacht, das Bild dort als Rache an der Männerwelt platziert zu haben, hinterhältig und durchtrieben. Aber mittlerweile weiß ich, dass es ein Artgenosse war, natürlich einer aus dem anderen Gebäudeteil mit eigener, unbebilderter Toilette und automatischer Wasserspülung. Ich wage gar nicht daran zu denken, welche Auswirkungen dieses Bild in der immer noch männerdominierten Medienwelt auf unsere Umsatzzahlen haben könnte. Schließlich müssen alle Kunden und die halbe Geschäftsleitung diese Toilette benutzen und sich anschließend wieder in Meetings gegenübersitzen. Vielleicht sollte man mal eine psychologische Langzeitstudie über den Zusammenhang von Leuchtturmbildern auf Herrentoiletten und rückläufige Betriebsergebnisse der entsprechenden Firmen in Auftrag geben. Am Ende bekomme ich noch den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, weil ich allein durch konsequentes Eliminieren von Türmen in Toiletten die Umsätze in schwindelnde Höhen getrieben habe. Geldtürme statt Leuchttürme. Sei’s drum, ich denke, ich hänge das Bild morgen einfach ab und lasse es auf dem Weg in die Tiefgarage im Hausmüll-Container verschwinden.