6. August 2007

Mr. Wrong and Friends #4

Noch während Julia sich fertig machte kamen ihr die ersten Zweifel. Die Beziehung mit Thomas steckte ihr noch immer in den Knochen, obwohl das jetzt auch schon fast ein Jahr zurück lag. Es war zu viel kaputt gegangen, um es einfach so wegzustecken. Klar, ihre Freundin und Kollegin Laura hatte es natürlich schon vorher gewusst und sie gewarnt.
„Lass die Finger von dem Typen, der ist nichts für dich. Er wird dir nur wehtun.“
Und jetzt ein Date mit einem Mann, den sie erst am Abend vorher online kennen gelernt hatte. Ausgerechnet bei einer Afterwork Party. Das war so gar nicht ihre Welt. In der Nacht war es echt nett, mit ihm zu chatten, er wirkte schüchtern, fast etwas ängstlich. Aber am nächsten Morgen war er wie ausgewechselt und wenn sich nicht Laura an ihren Rechner gesetzt und weitergemacht hätte, wäre die Unterhaltung schnell zu Ende gewesen. Laura war komplett anders als Julia. Sie genoss das Leben in vollen Zügen und nahm die Typen einfach nicht ernst genug, um sich von ihnen verletzen zu lassen. Da war schon eher das Gegenteil der Fall. Auf jeden Fall hatte sie beschlossen, dass dieser Mann Julia im Moment gut tun würde und ein Date ausgemacht.
„Der Typ bringt dich mal auf andere Gedanken, der scheint ganz witzig zu sein. Außerdem musst du mal wieder unter Leute, basta. Wenn man in deinem Alter nachts nicht schlafen kann und im Internet rumsurfen muss, wird es höchste Zeit. Du brauchst dich ja jetzt wirklich nicht zu verstecken.“
Laura war ein recht dominanter Typ und ließ keine Widerrede zu.
„Und wenn der Typ der letzte Arsch ist?“
„Dann lässt du ihn sitzen und fährst nach Hause.“
„Ich weiß ja gar nicht was so ab geht auf so ’ner Afterwork Party.“
„Gott, stell dich nicht so zickig an! Das siehst du, wenn du da bist.“
„Ich habe auch gar nichts zum Anziehen.“
„Ich leihe dir was, Standard-Outfit, kleines Schwarzes, da kannst du nichts verkehrt machen und ein paar Schuhe, die ihn von den Socken hauen. Wenn er da nicht anspringt, vergiss’ es auf der Stelle!“
Und so kam es, dass Julia am Abend mit einem ihrer Meinung nach völlig unpassenden Outfit in der Straßenbahn saß und Richtung Innenstadt fuhr. Sie hatte kurz überlegt, das Auto zu nehmen, sich dann aber angesichts der Parkplatzsituation in der Innenstadt doch für die öffentlichen Verkehrsmittel entschieden.

Peter wartet vor der Weinhandlung und schaute sich vorsichtig um.
„Hallo Herr Kessler, Sie auch hier? Kaufen Sie Wein oder gehen Sie zur Afterwork Party?“
Er schnellte herum. ‚Gott, auch das noch, diese Zicke von Justitiarin aus dem 2. Stock und noch drei andere Leute vom Amt. Wenn die ihn mit Julia sehen, gibt es morgen im Flurfunk wieder eine Menge zu berichten.’
„Nein, nein, ich warte nur auf, äh, einige Bekannte, wir, äh, wollten zum Essen gehen. Wir wussten gar nicht, äh, dass hier heute eine Veranstaltung ist.“
„Wie jeden Donnerstag, Herr Kessler, Sie gehen wohl selten weg. Na dann, viel Spaß noch. Ach ja, sehr interessante Krawatte, die Sie heute tragen.“
Peter hasste Sie, schon die süffisante Bemerkung über die Krawatte brachte ihn auf die Palme. Er versuchte herauszufinden, wo die vier sich hinsetzen, hatte sie aber im Getümmel schnell verloren.

Als er sich umdrehte sah er Julia am Eingang stehen und Michael hatte Recht behalten, er erkannte sie sofort. Sie sah wirklich toll aus in dem schwarzen Kleid und den silberfarbenen Pumps mit dem schlanken hohen Absatz. Trotzdem wirkte sie irgendwie ein wenig verloren. Sie fühlte sich nicht wohl in dem Kleid und den Schuhen, die nicht ihr gehörten, zupfte das Kleid in Form, obwohl es perfekt saß und schob mit dem Daumen die BH-Träger wieder zurück unter die Träger des Kleides. Das kleine Gucci-Täschchen, dass ihr Laura ebenfalls überlassen hatte, hielt sie fest an sich gepresst. Aber wie die meisten Jungs nahm Peter diese Signale nicht wahr, er fand, sie sah heiß aus und marschierte entschlossen auf sie zu. ‚Mein Gott, was mache ich hier, ich mache mich doch nur zum Trottel’, dachte Julia und wollte sich gerade umdrehen und gehen, als sie den Typen mit dem unsicheren Lächeln direkt auf sich zukommen sah. Er sah nett aus, anders als sie sich ihn vorgestellt hatte. Groß, schlank, gepflegt, volle Haare, hatte sich gut gehalten für seine 45 Jahre – nur die Krawatte war unmöglich, aber das kann frau ja ändern.

„Julia? Hallo, ich bin Peter, du siehst ja noch viel besser aus als auf dem Foto“,
war das tollkühnste was Peter im Moment herausbrachte. Dafür hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. ‚Mensch, was machst du, selten dämlicher Spruch, reduzierst sie auf Äußerlichkeiten, gleich am Anfang, du Depp. Sag ihr was Persönliches, was Ausgefallenes, etwas womit sie nicht rechnet, aber was bloß’. All die schönen Sprüche, die er sich nach intensivem Google-Studium extra für diesen Augenblick zurechtgelegt hatte, waren urplötzlich weg und das einzige was ihm spontan einfiel war:
„Tolles Kleid, steht dir gut.“
Danach folgten ein verlegenes Hüsteln und eine lange Pause. Julia gewann ihr Selbstvertrauen zurück und antwortete schließlich:
„Danke, das klingt mir sehr nach dem Peter, mit dem ich gestern Abend gechattet habe. Wer war bloß der Typ von heute morgen?“
Dabei lächelte sie ihn an und sah ihm in die Augen. Peter wurde rot, sein Verstand setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus und er antwortete, bevor sein Gehirn ihn daran hindern konnte:
„Das war wirklich nicht ich, das war mein Freund Michael.“
Dann sah er ihren überraschten Blick, dachte darüber nach was er gerade gesagt hatte, wurde noch verlegener und stammelte:
„Aber das war keine Absicht, er wusste nicht, dass wir schon nachts miteinander gesprochen haben, äh, ich meine geschrieben und außerdem, kennt er genug…nein…ach Mensch, ich würde dir das so gerne erklären, aber hier ist es so laut und so voll. Also, du magst das hier, ich eigentlich auch…nein…nicht wirklich…ach, ich glaub ich hab’s versaut.“
Julia sah ihn prüfend an, bemerkte die Verzweiflung und begann zu lachen.
„Du, ich muss dir auch was gestehen. Lass uns doch irgendwo hingehen, wo man in Ruhe miteinander reden kann. Ich glaube, wir haben hier beide nichts zu suchen, zumindest nicht heute.“
Sie nahm entschlossen seinen Arm, hakte sich ein und zog ihn Richtung Ausgang.

Peter folgte willenlos. Ihm war das alles ziemlich peinlich und er war froh, wieder aus der Halle heraus zu kommen.
„Wo gehen wir hin“, fragte Julia, „ich kenne nicht so viel hier in der Gegend.“
„Magst du was essen?“
„Eigentlich nicht, vielleicht können wir irgendwo ein Glas Wein trinken.“
Nachdem Peter auch nichts einfiel und er keine Lust hatte, noch weitere Arbeitskollegen zu treffen, schlug er die Stammkneipe im Westend vor.
„Ich habe mein Auto hier in der Nähe, na ja, ein Stückchen müssen wir schon gehen, kein Parkplatz frei gewesen. Geht das mit den Schuhen?“
Peter hatte bemerkt, dass Julia bereits zweimal leicht umgeknickt war und sich gerade noch an seinem Arm festhalten konnte. Die Schuhe sahen wirklich gut aus, aber selbst Peter hatte mittlerweile bemerkt, dass es offensichtlich nicht ihr normales Outfit war.
„Du das geht schon, die sind neu und noch nicht richtig eingelaufen“, log Julia, „ich bin ja froh, dass du ein Auto da hast und ich nicht wieder mit den Dingern in die Straßenbahn muss.“
Den Rest des Weges unterhielten sie sich über dies und jenes, und einmal legte Peter sogar seinen Arm um ihre Taille, nachdem sie mal wieder kurz neben ihm abgetaucht war und innerlich ihre Freundin verfluchte, die ihr diese Schuhe aufgeschwatzt hatte. Im Westend angekommen, sah er erleichtert, dass Michaels Porsche nicht in der Feuerwehrzufahrt stand. Die beiden hätten ihm jetzt nicht so recht ins Konzept gepasst, wobei er sich eingestehen musste, dass er eigentlich schon längst kein Konzept mehr hatte. Julia gefiel ihm wirklich - nicht nur äußerlich - und das machte ihn noch unsicherer als er sowieso schon war. Er parkte sein Auto wagemutig auf dem Stammparkplatz seines Freundes.
„Das ist eine Feuerwehrzufahrt“, sagte Julia, „könnte teuer werden“.
„Ach da parke ich meistens, ist noch nie was passiert abends. Außerdem bist du mir das wert. Wir wollen doch nicht wieder so einen Gewaltmarsch machen.“
Peter schaute verlegen, aber Julia lächelte nur. ‚Der Typ ist süß’, dachte sie, ‚wieso läuft so was frei rum? Hm, warten wir mal ab wie sich das weiter entwickelt.’

Als sie das Lokal betraten, war der Stammtisch besetzt. Michael und Konny saßen dort. Michael hatte ein Weißbier vor sich stehen, das heißt er war ohne Auto unterwegs. Peter hoffte, dass sie ihn nicht sofort sehen würden und steuerte einen Tisch am anderen Ende des Raumes an. Heute wollte er alleine sein mit Julia, allerdings war es unmöglich mit ihr an seiner Seite, unauffällig ein Lokal zu betreten. Als er sah, dass Michael aufsprang, verfluchte er die Idee, ausgerechnet hierher gegangen zu sein. Aber Konny hielt Michael am Arm fest und grinste.
„Lass die beiden, die haben sich bestimmt viel zu erzählen, da stören wir nur.“
Michael schaute noch mal rüber, sah Peters panischen Blick und setzte sich wieder hin.
„Hast Recht, wir machen einen Stellungswechsel, wenn wir ausgetrunken haben, sonst ist er den ganzen Abend nervös.“
„Das ist er sowieso, glaub mir“.
Konny lachte, sie stießen miteinander an und winkten der Bedienung zum Zahlen.

Peter zog erleichtert den Stuhl ein Stück zurück und bot Julia einen Platz an.
Möchtest du hier sitzen?“ fragte er höflich.
„Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich lieber auf der anderen Seite sitzen.“
Dieses Mal war es Julia, die verlegen lachte als sie gestand, ungern mit dem Rücken zum Lokal und zur Tür zu sitzen. Obwohl es Peter durchaus etwas ausmachte, überließ er ihr bereitwillig seinen Platz. So saßen sie sich gegenüber und erzählten sich, was am Morgen passiert war. Peter war begeistert von Julia und ließ sie den ganzen Abend nicht mehr aus den Augen, vergaß darüber sogar, sich alle paar Minuten umzudrehen. Er war so fasziniert von dieser Frau, dass er nicht einmal die Polizeistreife bemerkte, die mit eingeschaltetem Blaulicht vor dem Lokal stand und einem in der Feuerwehrzufahrt geparkten Auto ein Ticket unter den Scheibenwischer klemmte.

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