24. Juli 2007

Mr. Wrong and Friends #3

Auf die dunkle Nacht folgte ein heller, sonniger Frühsommertag. Die Wolken hatten sich verzogen und schon während des Chats war die Sonne aufgegangen und Peter hatte tief in die Romantikkiste gegriffen, Goethe zitiert und sogar noch einen Gedichtband von John Keats bemüht, den ihm Konny mal geschenkt hatte. Peter war – für seine Begriffe – zur Höchstform aufgelaufen und fühlte sich trotz der kurzen Nacht total aufgekratzt. Kurz nach sieben hatte sich Miss Mystery, deren richtigen Namen er immer noch nicht kannte, verabschiedet, weil sie sich für die Arbeit fertig machen musste. Aber man wollte sich am Abend unbedingt wieder zum Chat treffen. So stand Peter jetzt fröhlich pfeifend vor dem Badezimmerspiegel und rasierte sich während seine Gedanken immer noch bei Miss Mystery waren. Sie hatte ihm im Chat versichert, dass das im Portal wirklich ihr Foto sei, und er legte sich schon mal die eine oder andere Strategie für die Fortsetzung am Abend zurecht. Sollte er sie heute schon fragen, ob sie mit ihm ausgehen würde oder lieber weiter auf Schüchtern machen. Er hatte den Eindruck, gerade das hätte sie besonders gereizt.
‚Wenn ich zulange warte, geht’s mir am Ende noch wie Konny und sie verliert die Geduld. Wenn ich sie mit der Dampfwalze überfahre wie Michael, ist sie eingeschnappt.’
Also entschloss er sich, erst mal den Gesprächsverlauf abzuwarten und spontan zu reagieren – wobei Peter und Spontaneität ungefähr so gut zusammenpassen wie Kühe und Ballett.

Nachdem er sich geistesabwesend soviel Rasierwasser ins Gesicht geklatscht hatte, dass seine Nachbarin den im 3. Stock gemeinsam bestiegenen Fahrstuhl bereits im 2. Stock verließ, um zu Fuß zur Tiefgarage zu gehen, machte er sich auf den Weg in die Arbeit. Gegen 11 Uhr rief Michael an:
„Hi, denkst du dran, dass wir uns heute Mittag beim Italiener treffen wollten, ich muss euch eine irre Story erzählen.“
Peter lächelte selig ins Telefon und meinte nur:
„Geht klar, ich auch Jungs, ich auch.“

Pünktlich um halb eins liefen die drei bei Alfredo ein und setzten sich an ihren Stammtisch, eine Eckbank am hinteren Ende des Lokals, die Peter Rückendeckung mit freier Sicht zur Tür und Michael den Ausblick auf seinen auf dem Gehsteig geparkten Porsche gewährte. Michael und Konny quatschten gleich drauflos, während Peter auf die übliche Frage wartete. Konny stellte sie schließlich:
„Was macht ihr eigentlich heute Abend?“
Michael und Peter antworteten gleichzeitig:
„Du, ich habe heute Abend keine Zeit, eine Frau, weißt du.“
Konny schaute die beiden verwundert an und meinte nur:
„Aha, hab’ ich irgendwas verpasst?“
Peter holte tief Luft und wollte gerade loslegen, als Alfredo mit drei Alibi-Karten unter dem Arm ankam, die er ihnen aber wie üblich gar nicht erst auf den Tisch legte. Dafür fing er sofort an, die in absolut unleserlicher Schrift mit gelber Kreide auf eine grüne Ramazotti-Werbetafel gekritzelte Tageskarte vorzubeten und gleich ein Menü vorzuschlagen. Sehr zu Alfredos Überraschung stimmten die drei sofort zu.

Peter und Michael begannen beide wieder absolut synchron zu sprechen:
„Ihr glaubt nicht was mir heute passiert ist.“
Peter holte wieder tief Luft, aber Michael war wie üblich schneller:
„Da mach’ ich heute früh doch schnell mal mein Skype auf und habe sofort so ’ne Banktussi an der Backe. Keine Ahnung wie die auf meine Kontaktliste geraten ist. Kaut mir ein Ohr ab, wegen letzter Nacht, will wissen, ob ich müde bin. Heißt Julia. Ich habe natürlich sofort gefragt, ob ich ihr Romeo seien darf. Irgendwie hat sie’s nicht gleich kapiert und erzählt mir was von wegen ich sei so anders plötzlich, so frech und dass sie mich gerne kennen lernen möchte. Ich lach mich kaputt, aber ein geiles Foto, ich sag’s euch. Keine Ahnung mit wem die mich verwechselt, egal, heute Abend gehen wir zum Afterwork in die Schrannenhalle.“
Peter saß noch immer mit offenem Mund da, während Michael munter weiter machte.
„Erst war sie ja ein bisschen verstockt, aber später ist sie dann ganz locker geworden. Du Konny, sie hat am Anfang irgendwas von so ’nem komischen englischen Dichter gefaselt, so ein Romantikgeschwafel, nicht mein Ding. Beauty is truth... oder so ähnlich, du kennst dich bestimmt aus?“
Konnys Antwort kam wie üblich auf Knopfdruck:
„John Keats, englischer Romantiker, Anfang 19. Jahrhundert, ist nur knapp 26 Jahre alt geworden. Solltest du mal lesen, ich kann’s dir gerne ausleihen, oder frag Peter, dem habe ich mal einen Band geschenkt, hat bestimmt noch nicht reingeschaut bis heute. Aber deine Kleine hat Geschmack.“

Konny kannte Michaels Geschichten zur Genüge und fragte nun Peter, was er denn heute Abend vorhabe.
„Hey Alter, was ist denn mir dir los, du bist ja weiß wie Alfredos Wand? Hast du ein Gespenst gesehen oder geht’s dir nicht gut?“
Peter begann zu stottern und war froh als Rosa, Alfredos älteste Tochter, mit dem Essen kam. Normalerweise schaute Peter ihr immer mit einem leicht schmachtenden Blick hinterher, bis sie wieder in der Küche verschwunden war, aber heute vertiefte er sich sofort in seinen Teller und begann die Linguine in sich reinzustopfen, als gäbe es morgen nichts mehr zu essen. Obwohl Konny neugierig war, ließ er Peter zuerst fertig essen. Er kannte seinen Freund und wusste, dass er ihn jetzt nicht löchern durfte. Der würde schon von selbst anfangen, spätestens, wenn der Teller leer ist. Und so war es dann auch. Peter begann langsam und stockend zu erzählen und Konny und Michael hörten gespannt zu, mit leicht aufgeblähten Backen und gesenktem Blick. Sie vermieden es, sich anzuschauen, weil sonst beide vor Lachen sofort auf dem Boden gelegen hätten. Als Peter fertig war brüllten beide los und während sich das ganze Lokal zu ihnen umdrehte, schlug Michael dem vollkommen irritierten Peter kräftig auf die Schulter und sagte:
„Hey Alter, ist doch Ehrensache – du gehst hin! Aber lege dir bitte einen eigenen Skype-Account zu.“
Dann wurde er wieder vom Lachen überwältigt und Peter konnte schließlich auch nicht anders und lachte mit.

Die nächste halbe Stunde wurde Peter mit allen wichtigen Details des Münchener Nachtlebens vertraut gemacht. Was zieht man an, welche Drinks bestellt man, wo parkt man am besten, wie verhält man sich auf einer After Work Party, lauter Dinge von denen weder Peter noch Konny auch nur die geringste Vorstellung hatten, aber Michael war party-, lifestyle- und flirterprobt. Und so kam es, dass Peter am Abend mit einer seiner Meinung nach völlig unpassenden Krawatte durchs Gärtnerplatzviertel fuhr um festzustellen, dass Michaels Stammparkplätze allesamt belegt waren oder sich in Halteverbotszonen befanden, was wiederum die hinter ihm Fahrenden nicht abhielt, trotzdem dort zu parken. Er bedauerte, nicht wie üblich mit der Straßenbahn in die Innenstadt gefahren zu sein, aber Michel hatte ihm versichert, das sei ein absolutes No-go und keine Frau aus der Szene stünde auf Taxi – oder noch schlimmer – Straßenbahn-Heimfahrten.
„Taxi bedeutet, dass man bei ihr übernachten will, was zwar durchaus wahr seinen kann, aber nicht unbedingt den gewünschten Effekt erzielt. Straßenbahn heißt, keine Kohle haben oder sich als verkappter Öko outen und das funktioniert nun mal bei den Mädels dort nicht.“
Er hatte ihm auch einige Tipps mit auf den Weg gegeben, wie er sich verhalten soll, wenn er Julia zum ersten Mal gegenüber steht, hatte ja schließlich eine knappe Stunde mit ihr gechattet und war voll im Bild. Nachdem Peter endlich einen regulären Parkplatz beim Europäischen Patentamt, nur einen knappen Kilometer entfernt, gefunden hatte, machte er sich auf den Weg in die Schrannenhalle. Natürlich hatte sich Michael bei der Weinhandlung Vinobel verabredet und nichts weiter ausgemacht.
„Wenn du so aussiehst wie auf dem Foto, finde ich dich überall in der Schrannenhalle.“
Typisch Michael, irgendwo bewunderungswürdig, aber heute hasste Peter ihn mal wieder.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Suuuper geschrieben! Macht echt immer wieder spass deinen Blog zu lesen. Ein Schmunzeln kann ich mir nicht verkneifen....
Lg Taka